Arbeiten

Das Ganze ist mehr als
die Summe seiner Teile.
Aristoteles

Heinz Jahn ist im Denken und Sein ein Grenzgänger. Seine differenzierte Kreativität zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihre Beziehungen in Randbereichen und Nischen sieht. Er hat sich dabei den stärksten Partner als Herausforderung gesucht: die Kultur der Natur selbst, die in ihrem Kreislauf keinen Anfang und kein Ende der Ereignisse kennt.
Heinz Jahn bevorzugt die Linie, aus der im Ergebnis mal fragile Objekte, aber auch voluminöse Körper und raumgreifende Installationen entstehen können. Die Gebilde entwickeln Qualitäten des linearen Verlaufs, der fließenden Richtungen, des Schwebens, aber auch der wandbezogenen Abstraktion. Der ästhetische Reiz liegt im Kontrast, denn es werden vielfach Dinge miteinander verbunden, die von ihren Materialeigenschaften weit auseinander liegen. Es entsteht ein Verwirrspiel an Zeichen, ein Widerstreit zwischen offener, fast unfertig wirkender malerischer Form, Objekthaftigkeit und Hermetik des Abstrakten. Bei der Umsetzung der Gestaltungsideen geht es ihm um mehr als um bloße formalästhetische Befragungen der verwendeten Materialien oder um eine selbstge-nügsame Erprobung von zuweilen „kunstfremden“ Substanzen. Die Ergebnisse wollen Raum formulieren, ohne ihn definieren zu müssen.
Die Objekte sind oft klein, die Relationssprünge jedoch riesig. Die Größe legt nur der Betrachter in seiner Vorstellung fest. Die Arbeiten schwanken zwischen Offenheit und Geschlossenheit, hart und weich, organisch und mechanisch, innen und außen. Immer deuten sie über das nur der Anschauung Zugängliche, der rein visuellen Präsenz Verpflichtete hinaus auf eine Metaebene der sinnlichen Erfahrung. Hinter den Arbeiten verbirgt sich eine existenzielle Grundhaltung, die das eigentliche Werk und dessen phänome-nologisch fassbaren Ausdruckswerte einbindet in ein komplexes, aus elementaren Lebenserfahrungen heraus entstandenes Gedankengebäude.
Heinz Jahn feiert das Leichte, seine oft nur fragil erscheinenden Objekte, die dünnen Drähte und Schnüre, die Farbmarkierungen der Äste, der spielerische Umgang mit den Materialien helfen der Schwere des Lebens zu entgehen. Die Werke besitzen eine irritierende Schönheit, sie haben Grazie und Anmut und einen insgesamt poetischen und lyrischen Ausdruck.
Werke der bildenden Kunst zielen auf keine endgültige oder festgelegte Aussage, sondern sie halten für den Betrachter Angebote bereit, aus denen er sich „sein Bild“ machen kann. „Das Kunstwerk ist in erster Linie Genesis, niemals wird es als Produkt erlebt“, schreibt Paul Klee in seiner „Schöpferischen Konfession“ 1920, eine Maxime, die auch auf Heinz Jahn zutrifft. Der Betrachter soll einzelne Eindrücke erfassen, die er „Teil für Teil in die Sehgrube bringt“ und den Wegen folgen, die im Kunstwerk „eingerichtet“ sind – der Künstler, der dem Prinzip des Spurenlegens folgt. Wie sich die reichhaltige Fülle von Beobachtungen zusammenfügen und sich daraus eine individuelle Ordnung ergibt, ist ganz der Vorstellungswelt des Betrachters überlassen. Die Form der Verschmelzung findet schließlich nur im Kopf statt. Vielleicht ist solche Kunst nur ein anderes Wort für die Wiederaufführung des Staunens nach dem Verlust aller Staunegründe und man meint ein wenig vom Erlebnis des unendlichen Sehens zu spüren.

Ursula Blanchebarbe